Gabriel weicht in seinem "Offenen Brief" erneut von SPD-Beschlusslage zu TTIP ab
14. Oktober 2015 | Patrick Schreiner
Sigmar Gabriel, Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender, hat am vergangenen Samstag in mehreren Zeitungen sowie im Internet einen "Offenen Brief" anlässlich der Anti-Freihandels-Demonstration in Berlin veröffentlicht. Darin weicht er an zwei entscheidenden Stellen von der Beschlusslage der SPD ab bzw. verstößt gegen das gemeinsam mit dem DGB vereinbarte Papier zu TTIP. Und das nicht zum ersten Mal.
Im Spätsommer 2014 haben Bundeswirtschaftsministerium und DGB sich auf ein gemeinsames Positionspapier zu TTIP geeinigt, das Gabriel später die SPD als deren eigene Position beschließen ließ. Damit gelang es ihm, TTIP-KritikerInnen in der eigenen Partei in die Schranken zu weisen, die ansonsten gute Chancen gehabt hätten, einen noch kritischeren Beschluss durchzubekommen.
Inzwischen will Gabriel aber von diesem Papier offenbar nichts mehr wissen. In seinem "Offenen Brief" finden sich zwei Stellen, die gegen die SPD-Beschlusslage verstoßen:
1. Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren
Im "Offenen Brief" heißt es:
Klar ist deshalb schon heute, dass es in TTIP keine privaten Schiedsgerichte mehr geben darf, in denen Lobbyisten demokratisch gewählte Regierungen oder Parlamente unter Druck setzen können. Über Investitionsstreitigkeiten müssen ordentliche Handelsgerichtshöfe entscheiden – mit Berufsrichtern, öffentlichen Verfahren und Berufungsinstanz. Hier hat unser Druck schon gewirkt: Die EU schlägt genau das für TTIP vor.
Im BMWi-DGB-Papier bzw. SPD-Beschluss heißt es hingegen dazu:
Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbergriffen, wie „Faire und Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen.
Gabriel und die EU-Kommission möchten öffentliche Handelsgerichte mit mehr Transparenz und Berufungsmöglichkeiten schaffen. Diese wären aber gleichfalls Teil von Investitionsschutzvorschriften eines TTIP, ergo laut BMWi-DGB-Papier bzw. SPD-Beschluss nicht erforderlich. Zudem schließt das BMWi-DGB-Papier bzw. der SPD-Beschluss jede Form von Schiedsverfahren grundsätzlich aus, ganz gleich ob öffentlich oder privat.
2. Arbeits-, Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutz-Standards
Im "Offenen Brief" schließt Gabriel lediglich die Absenkung (!) von Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards aus:
Klar ist deshalb schon heute, dass [...] es keine Absenkung der in Deutschland und Europa erreichten Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards geben kann. Darüber entscheiden auch in Zukunft ausschließlich demokratisch gewählte Parlamente.
Im BMWi-DGB-Papier bzw. SPD-Beschluss aber wird auch schon die Gefährdung solcher Standards ausgeschlossen, also etwa auch, wenn diese indirekt eintritt. Eine Beschränkung auf ausdrückliche "Absenkung" der Standards engt die Forderung im BMWi-DGB-Papier bzw. SPD-Beschluss damit ein. Zudem wird dort explizit eine Verbesserung der Standards gefordert, wovon in Gabriels offenem Brief nicht mehr die Rede ist:
Das Freihandelsabkommen darf Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährden. Einen Dumping-Wettbewerb, bei dem Staaten und Unternehmen sich Vorteile über Sozial- und Umweltschutzdumping verschaffen, lehnen wir ab. Deshalb muss im Rahmen des Handelsabkommens darauf hingewirkt werden, Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu verbessern.
Ãœbrigens: Dass Gabriel kreativ mit der Beschlusslage zu TTIP umgeht, ist keineswegs neu. Die Nachdenkseiten haben schon Anfang des Jahres darauf hingewiesen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.